URAUFFÜHRUNG
TRANSFLEISCH
MusikTheater von Sergej Maingardt & Rosi Ulrich
ist eine MusikTheater-Produktion, die an den Grenzen der akustischen und visuellen Wahrnehmung experimentiert. Wie ist das mit dem Bewusstsein und der Erfahrung von „Realität“?
Stück
Um festzustellen, ob ich in einer Simulation lebe, musste ich mich selbst simulieren. Ich entschied mich, einen Klon von mir auf die Reise zu schicken. Wir beide, der Klon und ich, beschlossen eine kleine Strecke gemeinsam zu gehen und alles zu notieren, was wir sehen, dann trennten wir uns und notierten wieder alles, was wir erlebten.
Dann legten wir unsere Notizen übereinander. Unsere Protokolle waren ohne Abweichungen, identisch. Was glaubten wir zu finden? Was könnte beweisen, dass wir in einer Simulation lebten? ... Wenn einer von uns das System verlassen würde, dann könnten wir einen Beweis finden!
Also: Einer von uns musste sterben. Aber wie sollten wir den Kontakt halten?
Presse
"... eine Aufführung von soghafter Wirkung und wirklicher Bewusstseinserweiterung, von nahezu drogenhafter oder beinahe spirituell seelenaufreißender Wirkung. Es geht auf eine wirklich gut getimte Reise an die Grenzen der Wahrnehmung, der man sich ganz öffnen sollte, soweit bis die inneren und äußeren Schmerzgrenzen erreicht sind, dann erfährt man sich als Veränderter und Veränderbarer, dem, so viel sei garantiert, wenn man es aushält, was wirklich ohren-, körper- und augenbetörend bis -betäubend wirkt, dann eine ganz große Erfahrung zuteil und anteilig wird, aber auch wenn es nicht gefällt, dann ist man seitens der Macher mit bewundernswert sympathischer Offenheit bereit, sich der Diskussion zu stellen. Unbedingt ansehen, zumal es dem Text und dem Ganzen gelingt, im Nachhinein über ein Nachklingen der Wirkung und von einzelnen Performanceelementen auch die Fragen und auch die ganz großen Fragen anzustossen: Leben und Tod, Gehirn und Bewusstsein, was ist wirklich, was ist Wahrheit, inwiefern bestimmt der Charakter des Streams in den Synapsen als Simulation die Welt, die Wahrheit oder unser Bewusstsein von der Realität ... Ende der Wirkung und Ende des Bewusstseins offen ... ganz starker Beifall ... aber auch skeptische Randbemerkungen ... Ich war begeistert, zumal es sich hier um eine dem Filmkunstwerk "Koyanisquatsi" ebenbürtige legale Droge handelt, die man für unter 20 Euro erwerben kann. Und außerdem muss Kunst manchmal eine Zumutung sein. Wir haben soviel offiziöse weichgespülte Kunst, und wer, wenn nicht der OFF-Bereich, kann so etwas leisten und auch ein solches Wagnis eingehen." (namkoartist, 17.Nov.13)
"... In dieses bizarre Gewitter aus akustischen und visuellen Signalen spricht Schauspieler Daniel Berger Texte über die Entwicklung von Gedanken, die alle vorstellbaren Grenzen sprengen. Fremd wie die Sterne bleibt die glibberige Masse, die im Bild gezeigt wird und mit der Entstehung eines Aliens vergleichbar ist. Sehr intensiv wirkt dieser Cocktail medial gesteigerter Sinneseindrücke, der den gestaltlosen Zuständen des Realen folgt. Für das Nachdenken über die Konstruktion des Denkens bleibt hier freilich kein Raum mehr. Die Performance wirkt eher wie ein Schlag vor die Stirn ihrer Betrachter, als dass sie diese in die Labyrinthe der Neurologie locken würde" (Thomas Linden, Kölnische Rundschau 15.Nov.13)
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Full Version
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Textauszug
5
Er lag im Bett, Krankenhausbett
Ich sah in sein Gesicht,
das einmal meins gewesen war
ich erkannte es nicht.
Ich konnte nicht erinnern,
dass dies mein Gesicht ist
mein Gesicht war,
oder, einmal sein wird?
Ich beugte mich über ihn
suchte in der fahlen Oberfläche nach bekannten Spuren
Tränen liefen über mein Gesicht
Ich konnte keine Bekanntheit finden.
Erschüttert schrak ich hoch
als ein tiefer Atemseufzer der offenen Höhle dieses Mundes entwich. Ich konnte dich nicht schützen!
Jetzt bist du ein anderer geworden,
den ich nicht mehr kenne.
warum bist du so anders als ich,
so anders geworden oder?
vielleicht schon immer gewesen.
Du musst jetzt sterben!
6
Ich erkenne mich nicht.
Meine Gedanken schweifen zurück
als wir eine gemeinsame Idee hatten
als ich die gemeinsame Idee hatte,
mein Bewusstsein durch dich zu erweitern
wir hatten nicht das Gefühl, dass etwas nicht stimmt,
dass unsere Welten sich unterschieden
alles war echt, war identisch
doch jetzt, jetzt da er stirbt
bin ich mir nicht mehr sicher
er hat mein Universum verlassen
ich erkenne seinen Blick nicht mehr
sein Gesicht, das einmal meins war,
immer noch meins ist
ist mir fremd und doch das bin ich,
auch das bin ich
gleichzeitig in allen Möglichkeiten.
Ist das deine Botschaft?
dass Leben heißt,
eine Möglichkeit zu wählen und darin zu verharren.
Wenn ich mich vervielfache,
erlebe ich dann all meine fremden Gesichter?
Ist das die Botschaft unseres? deines Sterbens?
meines Sterbens?
-------
Ich kenne ihn nicht.
Seine Gedanken schweifen zurück,
als er eine Idee für eine gemeinsame Geschichte hatte.
Die Idee, sein Bewusstsein durch mich zu erweitern.
Er hatte nicht das Gefühl, dass etwas nicht stimmt,
dass unsere Welten sich unterscheiden.
Er dachte alles sei echt, sei identisch.
Doch jetzt, da ich ihn verlasse,
ist er sich nicht mehr sicher
Ich verlasse sein Universum
und sein Blick verliert sich. – gleitet ins Nichts.
Mein Gesicht, das einmal seins war, und immer noch ist,
ist ihm fremd.
fremd geworden zwischen all den Möglichkeiten
all den Vervielfältigungen von sich selbst.
Er denkt an Negation und Auslöschung
Ich fühle die Leichtigkeit, die ungelenkte Aufmerksamkeit
und die Tränen verdampfen im Fall
3
Die meisten Neurowissenschaftler glauben, dass man ein vollständiges funktionierendes Neuronennetz benötigt, um Bewusstsein zu erzeugen. Das ist aber im Nahtodfeld offensichtlich nicht gegeben. Wenn man ein einzelnes Neuron betrachtet, das noch funktioniert, macht es dann Sinn zu sagen, das Neuron verfüge über Bewusstsein? Wohl kaum. Und wenn im Fall der Nahtoderfahrung überhaupt noch Hirnaktivität vorliegt, dann entspricht sie nicht dem, was für ein normales Bewusstsein benötigt wird.
Es handelt sich also um Gehirne, die nicht mehr funktionieren. Trotzdem bricht der Strom des Bewusstseins nicht ab. Es scheint sogar so, dass die Gedanken sich in diesem Zustand viel klarer formulieren, als im normalen Zustand, wenn sie im Gehirn eingesperrt sind.
Gehirnströme sind wissenschaftlich betrachtet der Beweis für Leben. Ist das Gehirn nicht mehr aktiv, kann man wissenschaftlich gesehen keine Erlebnisse mehr haben. Wenn aber der Strom der Erlebnisse im Hirntod nicht abreißt, dann heißt das, dass Bewusstsein und Gehirn nicht ein und das selbe sind und, dass das Bewusstsein außerhalb des Gehirns liegt.
Angenommen also, das Gehirn ist nicht der Produzent des Bewusstseins; dann sind das Gedächtnis, die Erinnerungen und die Gedanken nicht an das Gehirn gebunden. Das Gehirn ist der Empfänger des Bewusstseins und das Ich empfängt nur so viel Bewusstsein, wie gesendet wird.
Beide, Bewusstsein und Gehirn, verhalten sich wie Parameter in einem Modell. Weitere Variable sind die Zeit und der Raum, die den Rahmen bilden, in dem sich das Ich orientiert. Leben ist an das Kontinuum von Zeit und Raum gebunden. Raum und Zeit sind grundsätzliche Komponenten der Realität und sind die Voraussetzung für Wahrnehmung.
Wie aber könnte das Ich, das gefangen ist in der Simulation, überhaupt erkennen, dass es sich um eine Simulation handelt? Wie kann das Ich beweisen, dass das Bewusstsein mehr ist als das, was in den Gehirnen gefangen ist? Das ginge nur über die Erweiterung des Bewusstseins, über die Aneignung von Bewusstsein, auf das das Gehirn keinen Zugriff hat. Also über die Erfahrung von unterschiedlichen Ereignissen im gleichen Raum und in der gleichen Zeit, das heißt, es muss das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrechen. Und mit großer Wahrscheinlichkeit würde bei dieser Grenzüberschreitung eine ungeheure Menge an Energie frei werden.
Die Idee ist klar, das Ich muss sein Bewusstsein durch sich selbst erweitern. Es muss sich vervielfältigen und damit die Möglichkeiten zur Protokollierung signifikant erhöhen.
Text©Rosi Ulrich
Eine Produktion des theater-51grad.com
in Kooperation mit Freihandelszone - ensemblenetzwerk köln
gefördert durch
Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW, Kulturamt der Stadt Köln
Mit Dank an: Eberhard Weible (Fotostudio), Studio für Elektronische Musik der HfMT Köln
mit:
Daniel Berger
Komposition & Video:
Sergej Maingardt
Text & Dramaturgie:
Rosi Ulrich
3-D-Animationen:
Juri Morosov
Kostüm:
Trixy Royeck
Technik:
Marcus Müller
PR & Öffentlichkeitsarbeit
neurohr & andrä
Fotos:
MEYER ORIGINALS
Mit Dank an:
Paulo Álvares (Klavier)
Anna Neubert (Violine)
Constantin Herzog (Kontrabass)
Premiere: 13.11.2013