URAUFFÜHRUNG

DEUTSCHLAND PRIVAT - Lebenslage Illegal

Stellen Sie sich vor, Sie leben illegal in diesem Land. Ohne Recht. Ohne Schutz.

Stück

Stellen Sie sich vor, Ihr Dasein besteht aus der ständigen Spannung zwischen dem Wunsch nach Integration und der Angst aufzufliegen.
Stellen Sie sich vor, ganz alltägliche Dinge werden zu Herausforderungen.
Stellen Sie sich vor, jeder Kontakt könnte eine Bedrohung darstellen.

DEUTSCHLAND PRIVAT - Lebenslage illegal ist ein theatrales Spiel, das die Situation von Menschen ohne Papiere fokussiert. In Deutschland vermutet man Hunderttausende, die ohne Papiere in den Städten leben, vor allem in Großstädten wie Köln. Mitten unter uns und doch unsichtbar. Vom Weltmarkt in den Privathaushalt. Sie sind überall. Sie arbeiten für uns. Ohne Papiere. Ohne den Beweis ihrer eigenen Existenz. DEUTSCHLAND PRIVAT erzählt von ihrem täglichen Überleben in einem System, in dem sie nicht erfasst sind und dennoch bestehen. Von ihrem Kampf um Sicherheit und Freiheit. Von ihren kleinen und großen Schritten und ihren grenzüberschreitenden Utopien. Bleibt nur noch die Frage: Spielen Sie mit?

DEUTSCHLAND PRIVAT - Lebenslage illegal ist der zweite Teil einer Trilogie zum Thema Flucht von in:takt e.V. und theater-51grad.com. Der erste Teil Seegang ins Ungewisse wurde 2010 am Kalscheurer Weiher inszeniert und für den Kölner Theaterpreis nominiert.

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"Man soll sich fremd fühlen in der Heimat, wird durch Ämter geführt, kann in Call-Shops mit der zurückgelassenen Familie in Nigeria oder Weißrussland telefonieren (die kommen wirklich per Skype auf den Bildschirm), sich unter der Hand Arbeit in der Altenbetreuung, in unbelüfteten Nähereien oder gleich im Bordell scuehn. Im besten Falle kommt man nicht gleich dahinter, wer hier Zuschauer und wer Schauspieler ist, und enträtselt langsam die komplexen Abhängigkeiten zwischen Menschen mit und ohne Papiere. Im schlechtesten Fall fühlt man sich in einer Art interaktive Lindenstraße versetzt. ... Gerade da, wo die Produktion ihren pädagogischen Impuls nicht verhüllt, das interaktive vom dokumentarischen Theater unterfüttert wird, hat 'Deutschland privat' seine stärksten Momente." (Christian Bos, Kölner Stadt-Anzeiger 28.Juni 2012)

"Wie fühlt es sich an, unsichtbar zu sein? In der idyllischen Alten Schule in Niehl kann man in die Welt der Menschen eintauchen, die in Deutschland ohne Papiere leben und von denen man sagt, sie seien 'illegal'. ... wie ein kleines Universum ist das Haus ausgestattet, mit den Angeboten einer Bank zum kontofreien Geldtransfer, einem Café, einem Internet-Point oder einer Küche ... Überall lernt man etwas über die Realität und die Fallen, die auf Asylsuchende lauern. ... Gründlich und mit Humor wird das Sujet entfaltet und als kleines Abenteuer für die Bescuher präsentiert, ohne die aufdringliche attitüde des Mitmachtheaters zu bemühen. Ein gesellschaftliches Thema wird nicht von außen verhandelt, sondern von innen ausgeleuchtet. Wer auf diese Weise einmal in die Welt der Heimatlosen geschlüpft ist, betrachtet sie mit anderen Augen." (Thomas Linden, Kölnische Rundschau 26.Juni 2012)

"Man kennt das inzwischen. Man betritt ein altes Gebäude. Es riecht muffig und verwahrlost. Mit der Eintrittskarte wird man auf Erkundungsreise geschickt. Man darf nicht einfach im Sessel sitzen und die Kunst "kommen lassen", man trägt selber Verantwortung für das Theatererlebnis, wird vielleicht gar zum Objekt gemacht und muss sich dann ständig fragen, ob es nicht sinnvoll und vor allem notwendig wäre, gegen diese Fremdbestimmung entschlossen aufzubegehren.
Deutschland privat ist ein Projekt des theater-51grad.com, ersonnen von Rosi Ulrich, geleitet von Karin Frommhagen und Charlott Dahmen und höchst fantasievoll und treffend ausgestattet von Trixy Royeck in einer alten Grundschule in Köln-Niehl. Es geht um das Leben in der Illegalität, um den - auch inneren - Kampf um eine gesetzeskonforme Identität. Die Zuschauer treffen in Viertelstundenabständen ein, bekommen einen Jeton in die Hand und werden in einen Roulettesaal geführt, wo sie auf eine Zahl setzen müssen. Die Kugel rollt - und bestimmt mittelbar den Weg des einzelnen Zuschauers durch den Abend. Meiner führt zunächst in eine Art Bordellzimmer. Hier werde ich alleine zurück gelassen und soll einen Text über einen in die Zwangsprostitution gezwungenen ukrainischen Jungen vorlesen, der übrigens live auf die Toiletten übertragen wird. Der Ausgang führt durch einen engen, stickigen Raum, in dem niedergedrückte Frauen in fremden Sprachen flüstern, jammern und nähen. Ich werde auf's Amt gewiesen, da meine Formulare "nicht in Ordnung" seien. Vor der Tür warten viele Menschen. Es geht kaum voran. Immer wieder werde ich gefragt, wer ich bin. Schließlich lege ich mir eine Identität zu: Ich bin ein aus dem Kosovo geflohener Katholik. Nicht originell, aber mir fällt nichts Besseres ein. Jede Viertelstunde erklingt ein Posaunensignal. Alle Türen öffnen sich, Menschen treten auf die Schwelle und schmettern düster den "Danke", den Jugendgottesdienstschlager vergangener Jahre.
In der Amtsstube regiert Herr Kowalski. Als ich drankomme, ist er nicht drin, nur drei Beisitzer sind da und führen mit mir ein Gespräch, irgendwo zwischen Folterkammer und mündlicher Abiturprüfung von schlecht vorbereiteten Lehrern. Von draußen erklingt ein Gospelchor. Herr Kowalski kommt und ruft mich von hinten zur Ordnung. Ich habe eine schwarze Linie auf dem Boden missachtet. Die Beisitzer tauschen Blicke. Mir wird eine Duldung ausgesprochen - für zwanzig Minuten. Ich muss ein medizinisches Gutachten erstellen lassen. Die freundliche Dame, an die ich gewiesen werde, erklärt sich für nicht zuständig, bescheinigt aber trotzdem irgendetwas. Jetzt muss ich auf das Amt zurück und erlebe die Geschichte eines Diplomaten, der seine Frau misshandelt, aber aufgrund seines Status' nicht bestraft werden kann. Acht Leute sind vor mir dran. Meine Duldung ist abgelaufen. Der Blick schweift. Vieles gibt es hier auf drei Stockwerken: ein skurriles Reisebüro, ein merkwürdiges Fotostudio, ein Restaurant mit leckerem exotischem Eintopf, Menschen, die versuchen - in guter oder schlechter Absicht - mit uns Illegalen Geschäfte zu machen, einen durch das Haus marodierenden Abschiebepolizisten und… und… und…
Das Besondere: Alle spielen. Nicht nur die 27 Mitwirkenden, angeführt von dem hemmungslosen Claus Reichel als Amtsleiter Kowalski, zusammengesetzt aus Schauspielern, Laien und Experten, alle Zuschauer spielen mit. Nie weiß man, mit "wem" man es zu tun hat. Darsteller oder Passant? Zufällige Begegnung oder Spielsituation? Nach und nach findet man heraus, dass nicht alle Zuschauer zu Illegalen "geworden" sind, sie sind auch Abschiebepolizisten oder Beisitzer des Gerichtes. Fast alle ziehen sich im Lauf der Vorstellung immer stärker auf ihre "Rolle" zurück, ihre Funktion im Spiel, ihre angenommene Identität, um nicht zu stören und akzeptiert zu werden, um Teil zu haben an diesem funktionierenden System mit seinen undurchschaubaren Strukturen, dass uns draußen hält wie die illegalen Einwanderer, um die es eigentlich geht. Dass das funktioniert, ohne offene Zwänge, aufgesetzten Humor oder Ausbrüche von Aggressivität, ist eine ungewöhnliche Leistung - und ein intensives Theatererlebnis der besonderen Art. " (Andreas Falentin, theater pur Online, Juni 2012)

Spiel:
Lilo Arustamova, Abdel Ben Tej, Shehala Baig-Kawser, Sherwin Baig-Kawser, Hatice Çigdem, Nina Chernobelska, Nina Drolsbach, Marie Enganemben, Özlem Esen, Nils Gajek, Bassam Ghazi, Daniel Heyen, Ibrahim Ismail, Jennifer Kalthoff, Hilke Kluth, Adrian Kohlert, Hanna Kunas, Meike Mayer, Agnieszka Moczadlo, Behshid Najafi, Claus Reichel, Maryam Röhlich, Jonas Schiffauer, Andreas Schmid, Majid Taatizadeh, Tomasso Tessitori, Aleksej Urev

Konzept / Regie:
Charlott Dahmen & Karin Frommhagen

Dramaturgie / Texte:
Rosi Ulrich

Ausstattung:
Trixy Royeck & heilandart

Klanginstallation:
Ralph Lennartz

Grafik:
Estelle Cortet & Ruth Spätling

Regieassistenz:
Stephanie Böttcher

Fotos:
MEYER ORIGINALS